Sensorlose Regelung von Schrittmotoren

Closed-Loop-Schrittmotoren als Alternative zu BLDC-Motoren
Lange Zeit wurde die Schrittmotortechnik als kostengünstige Alternative für Anwendungen betrachtet, die nicht die hohe Performance von Servomotoren erfordern. Während der Schrittmotor in der Gerätetechnik aufgrund seines attraktiven Serienpreises und des im Vergleich zu seiner Größe hohen Drehmoments immer seinen Platz behielt, wurden im Maschinenbau immer mehr Hilfsachsen auf Servosysteme umgestellt. Das oftmals mühsame Testen von Rampen, um Resonanzbänder zu vermeiden sowie die durch das fehlende Feedback schwierigere Dimensionierung machten die zwar in der Anschaffung teureren, aber in der Inbetriebnahme einfacheren Servos attraktiver für Kleinserien. 

Dieser Trend wurde durch die Entwicklung von feldorientiert geregelten („Closed Loop“) Schrittmotoren in den letzten Jahren aufgehalten und sogar wieder umgekehrt. Kern der Closed-Loop-Technologie sind die leistungsangepasste Stromregelung und die Rückführung der Steuerungssignale. Der Schrittmotor wird also genauso geregelt wie ein Servomotor: Über die Signale des Encoders wird die Rotorlage erfasst, und es werden in den Motorwicklungen sinusförmige Phasenströme erzeugt. Durch die Vektorregelung des Magnetfelds ist gewährleistet, dass das Statormagnetfeld immer senkrecht zum Rotormagnetfeld steht und die Feldstärke genau dem gewünschten Drehmoment entspricht. Ein Closed-Loop-Schrittmotor ist im Grunde also nichts anderes als ein hochpoliger bürstenloser DC-Servomotor (BLDC). Alle traditionell mit der Schrittmotortechnik verbundenen Nachteile, wie Resonanzen und übermäßige Wärmeentwicklung, entfallen. Stattdessen erhält man ein System, das bei 20-50% der Nenndrehzahl eines Servomotors gleicher Baugröße das 2- bis 3-fache Drehmoment dauerhaft erreichen kann.

Verbunden mit dem günstigeren Preis eines Schrittmotorsystems stellen Closed-Loop-Schrittmotoren eine wirtschaftliche Alternative zu Servosystemen dar. Dennoch haben es Closed-Loop-Systeme nicht geschafft, Open-Loop-Systeme in traditionellen Schrittmotorapplikationen, wie in der Laborautomatisierung oder bei kleinen CNC-Fräsen, abzulösen. Zwar bietet die Closed-Loop-Technologie auch hier Vorteile, einer breiten Verwendung stehen aber die hohen Kosten für den Drehgeber entgegen, die bei kleinen Motoren meist weit über dem Motorpreis liegen. Zudem reicht bei diesen Applikationen üblicherweise die Positioniergenauigkeit des Schrittmotors ohne Encoder aus.

Ein virtueller Drehgeber ersetzt den realen Encoder
Um auch bei diesen Applikationen die Vorteile einer feldorientierten Regelung nutzen zu können, hat Nanotec eine sensorlose, d.h. drehgeberlose Regelung für Schrittmotoren entwickelt, bei der die aktuelle Position und Geschwindigkeit des Rotors im Controller durch einen „virtuellen Encoder“ ermittelt wird. 

Sensorlose Systeme sind bei BLDC-Motoren schon seit einigen Jahren im Einsatz, vor allem bei Lüftern und Pumpen, die keine Positionsregelung benötigen. Alle sensorlosen Systeme nutzen dabei den Effekt, dass der Motor im Betrieb eine Gegenspannung (Gegen-EMK) induziert, die direkt proportional zur Geschwindigkeit ist.

Die einfachste sensorlose Ansteuerung ist die direkte Messung der Gegen-EMK, wenn eine Spule im Kommutierungszyklus nicht bestromt ist. Diese Methode erfordert im Vergleich zu einer Standardansteuerung jedoch eine spezielle Hardware und  funktioniert nur ab ca. 10-20% der Nenndrehzahl des Motors stabil, darunter ist das Mess-Signal zu klein. Durchgesetzt haben sich deshalb in anspruchsvolleren Anwendungen Systeme, die mit Hilfe eines sogenannten „Beobachters“ die nicht direkt messbaren Größen, wie Geschwindigkeit oder Gegen-EMK, aus anderen, vom Stromregler gemessenen Größen rekonstruieren. Der Kern eines solchen Systems ist ein möglichst exaktes Modell des Motors, das parallel zum realen Motor aus den bekannten Eingangsgrößen, wie der gestellten PWM, parallel die Werte, wie die Stromhöhe in der Wicklung, berechnet, die auch gemessen werden. Die berechneten Werte werden mit den real gemessenen Werten in jedem Zyklus verglichen. Durch den so ermittelten Beobachterfehler werden die internen Größen des Motormodells permanent nachgeregelt, so erhält man auch für die eigentlich nicht gemessenen Größen – wie die Geschwindigkeit – eine korrekte Schätzung.Obwohl diese Methode nur funktioniert, weil sich die Reaktion der Wicklung durch die induzierte Spannung geschwindigkeitsabhängig ändert, sind die direkt gemessenen Größen auch bei kleineren Geschwindigkeiten noch gut messbar. So erhält man einen  „virtuellen Drehgeber“, der ab einer gewissen Minimalgeschwindigkeit die Positions- und Drehzahlinformation mit der gleichen Präzision wie ein realer optischer oder magnetischer Drehgeber liefert.

Alle Plug & Drive Motoren von Nanotec implementieren die  feldorientierte Regelung (Closed Loop). Sowohl BLDC- als auch Schrittmotoren werden feldorientiert lastabhängig geregelt und unterscheiden sich nur durch die aus den unterschiedlichen Polzahlen resultierenden Arbeitspunkte. Daher verhalten sich Schrittmotoren und BLDC-Motoren wie DC-Servos. Die zur Regelung notwendige Rotorposition bzw. der Feldwinkel kann dabei entweder durch einen Drehgeber oder durch ein sensorloses Verfahren, wie unten vorgestellt wird, ermittelt werden.

Keine Schrittverluste, keine Resonanzen
Entscheidend für die Qualität des beobachterbasierten Reglers ist  ein möglichst adäquates Modell des verwendeten Motors,  sowohl was die mathematischen Formeln betrifft als auch die Motorkonstanten des jeweils angeschlossenen Motors. 

Es galt also, ein ausreichend präzises mathematisches Modell des Motors zu finden, das auch in einem kleinen Mikroprozessor in jedem Regelungszyklus komplett berechnet werden kann. Prinzipiell ist der Schrittmotor zwar dem BLDC-Motor auch mathematisch ähnlich, allerdings hat er nur zwei statt der üblichen drei Phasen beim BLDC und weist auch durch die hohe Polzahl bei höheren Geschwindigkeiten einige Besonderheiten im Modell auf.

Ein weiteres wichtiges Kriterium für die praktische Einsetzbarkeit eines sensorlosen Reglers ist die Identifikation der Parameter des Modells. BLDC-Regler benötigen häufig eine Vielzahl von motorabhängigen Parametern, die oft nicht auf den üblichen Datenblättern angegeben sind, sondern mühsam ermittelt werden müssen. Das gilt selbst für Systeme, die keine „richtige“ sensorlose Regelung implementieren, sondern nur eine Blockadeerkennung oder eine vereinfachte Regelung, die den Nennstrom des Motors lastabhängig reduziert. Auch in diesem Fall sind immer motorabhängige Schwellenwerte zu erkennen und konfigurieren.

Das Sensorless-System von Nanotec arbeitet dagegen mit sehr wenigen Parametern, die dem Benutzer auch nicht bekannt sein müssen: ein Autosetup vermisst den angeschlossenen Motor und ermittelt alle notwendigen Parameter automatisch.
Je nach Motortyp ergibt sich dann zwischen 100 und 250 U/min eine Drehzahl- und Positionsinformation, die genauso präzise ist wie die eines optischen Encoders mit 500 oder 1000 Inkrementen, so dass die Regelung in der gleichen Qualität und mit dem gleichen Drehmoment wie bei einem über Encoder geregelten Motor laufen kann. Auch unter diesem Schwellenwert funktioniert die sensorlose Regelung noch bis zu ca. 10-25 U/min, allerdings verschlechtert sich die Genauigkeit mit weiter sinkender Geschwindigkeit, und damit fällt auch das erreichbare Drehmoment ab.

Bei höheren Drehzahlen hingegen funktioniert das sensorlose System sogar besser als ein Drehgeber, der immer eine Rundlauftoleranz aufweist, die zu einem sinusförmigen Winkelfehler führt. Bei Standarddrehgebern ohne eigene Lagerung können diese Fehler in Größenordnungen bis zu ±1° liegen, was im Closed-Loop-Betrieb bei höheren Geschwindigkeiten zu Vibrationen führt. Der Fehler des virtuellen Encoders liegt bei höheren Geschwindigkeiten dagegen in derselben Größenordnung wie der Schrittwinkelfehler des Motors (±0,09°). Zudem liefern Encoder immer digitale, diskrete Positionswerte. Diese Stufung führt vor allem bei geringen Auflösungen zu Gleichlaufschwankungen des Motors. Der virtuelle Encoderwert ist dagegen kontinuierlich und stetig.

Durch die beobachterbasierte Regelung ist es nicht erforderlich, Motoren mit hoher Induktivität und dadurch schlechterer Dynamik zu verwenden, die eine sehr hohe Gegen-EMK aufweisen. Im Gegenteil: Motoren mit niedriger Induktivität und niedrigem Widerstand – und dadurch hohem Nennstrom – funktionieren deutlich besser.

Open Loop und Closed Loop kombiniert
Ihren besonderen Reiz erhält die sensorlose Regelung beim Schrittmotor dadurch, dass sie nicht nur für Drehzahl-Applikationen verwendbar ist, sondern in Kombination mit der Open-Loop-Ansteuerung auch für Positionierungen eingesetzt werden kann: Der sensorless-Algorithmus erkennt selbst, mit welcher Genauigkeit die Geschwindigkeit aktuell noch geschätzt wird. Wird dieses Signal mit sinkender Geschwindigkeit zu unpräzise, kann automatisch in den Open-Loop-Betrieb gewechselt und somit dann auch positioniert werden. Da im Open-Loop-Modus normalerweise nur wenige Schritte bei geringer Geschwindigkeit gefahren werden, spielen Resonanzen hier keine Rolle mehr. Beim Wiederanfahren aus dem Stillstand reichen wenige Grad, um wieder in den Closed-Loop-Betrieb zu wechseln. So ermöglicht es die sensorless-Technologie, in nahezu allen traditionellen Schrittmotor-Applikationen die Vorteile der feldorientierten Regelung zu nutzen.

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